fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen.
Montag den 8. März 2021, ab 14 Uhr vor der Gemäldegalerie (Matthäikirchplatz, BerlinTiergarten) laden wir Sie herzlich ein!
Künstlerinnen besetzen die Piazzetta vor der Gemäldegalerie
Zwischen 14-15 Uhr findet eine performative Aktion statt, in der Bildende Künstlerinnen im Verbund mit Kulturschaffenden anderer Sparten symbolisch für mehr Sichtbarkeit von Frauen im Kunst- und Kulturbetrieb eintreten.
Zur Aktion ruft ein Bündnis von Künstlerinnen auf, das bereits im letzten Jahr zum Weltfrauentag eine Kundgebung vor der Alten Nationalgalerie organisiert hatte und an Prozessen arbeitet, die einen Bewusstseinswandel im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit im Kunstbetrieb herbeiführen sollen.
Die aktuelle Aktion ist mit vielen Vertreterinnen Berliner Künstlerinnenverbände und –initiativen geplant:
Verein der Berliner Künstlerinnen 1867
Frauenmuseum Berlin
GEDOK Berlin
kunst+kind berlin
INSELGALERIE Berlin
SALOON BERLIN
Sie wird außerdem unterstützt von Vertreterinnen des bbk berlin und des VBK (Verein Berliner Künstler).
Unter dem Label fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen ist eine 56-seitige Broschüre mit allen Redebeiträgen der Demonstration 2020 entstanden, die vom Berliner Senat gefördert wurde. Gerne senden wir Ihnen diese digital oder als Print zu.
In diesem Jahr verzichtet das fair share! Aktionsbündnis pandemiebedingt auf Redebeiträge. Die Akteurinnen - Vertreterinnen aus allen oben genannten Künstlerinnenverbänden und -initiativen - beziehen vor der Gemäldegalerie Stellung. Mit Blick auf den Bauplatz für das avisierte Museum der Moderne sowie rechterhand auf die Neue Nationalgalerie, die nach einer langen Umbauphase kurz vor ihrer Wiedereröffnung steht, formieren sich Künstlerinnen in einer Performance unter Leitung der Künstlerin Verena Kyselka auf der schräg abfallenden Piazzetta. Sie beschriften die Granitplatten mit Künstlerinnenamen aus allen Jahrhunderten bis heute und nehmen so Bezug auf den Standort – im Rücken die
historische Kunst, repräsentiert durch Angelika Kauffmann und Anna Dorothea Therbusch in der Gemäldegalerie und im Fokus jene (noch zu platzierende) der klassischen Moderne und des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig werden ca. 500 Künstlerinnennamen aus allen Epochen
verlesen. So wird in Bild und Ton der Eindruck von Fülle und Sichtbarkeit jener Künstlerinnen offenbar, die jenseits von Münter, Laserstein, Goncarova, Höch, Werefkin und Sintenis Kunstgeschichte mitgeprägt haben und mitprägen. Flankiert wird die Performance von einer Plakatreihe, die mit Zahlen und Fakten die derzeitigen Missstände in den Fokus nehmen.
Auch in München ist eine öffentliche Aktion unter dem Motto fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen geplant. Künstler*innen der Initiative K&K Bündnis Kunst und Kind ziehen in Form eines performativen Spaziergangs durch das Münchner Galerien- und Museumsviertel, um Institutionen für ihre gendergerechte Arbeit mit einem Icon positiv zu markieren.
Hintergrund:
Der Diskurs um Geschlechtergerechtigkeit im Kunstbetrieb kommt – gut 150 Jahre nach der Gründung des ersten Künstlerinnenverbands in Deutschland, 100 Jahre nach der Öffnung der deutschen Kunstakademien für Frauen und 50 Jahre nach der ersten Aktion der Guerrilla
Girls – langsam in der Öffentlichkeit an. Professorinnen an Kunsthochschulen, Museumsdirektorinnen und Sammlungsleiterinnen sind keine Seltenheit mehr, Gremien und Jurys werden weitgehend paritätisch besetzt und Förderungen aus öffentlichen Mitteln in den letzten Jahren meist ebenso vergeben. Nationale Institutionen wie der Berliner MartinGropius-Bau oder internationale Museen wie das MoMA oder die Tate Gruppe gehen inzwischen geschlechtergerechte Wege. Damit ist ein Anfang gemacht.
Und doch: Geschlechtergerechtigkeit im Kunstbetrieb ist immer noch eine Wunschvorstellung. Jüngste Statistiken und Studien wie jene des Deutschen Kulturrats (2016/2020) zeigen, dass der Gender Gap weiterhin existiert und im Kunstbetrieb sogar höher liegt als in
anderen Branchen (Gender Pay Gap 2021: 29%). Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Dr. Monika Grütters, behauptet, sich der Ungleichheit bewusst zu sein, doch lassen wirkungsvolle Maßnahmen ihres Ressorts auf sich warten.
Knapp 60 % der Absolvent*innen von Kunsthochschulen sind heute weiblich. Einzelausstellungen von zeitgenössischen Künstlerinnen machen in den Programmen fast aller großen Häuser des Landes jedoch nicht einmal ein Drittel aus. Weit vorne liegt das NRW Forum Düsseldorf mit 31 % Einzelausstellungen von Künstlerinnen in den letzten 20 Jahren; in allen anderen Museen für zeitgenössische Kunst ist der Anteil viel geringer.(1)
Ähnlich ist es auch um die Präsenz zeitgenössischer Künstlerinnen im musealen Schaubestand bestellt. Im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin waren 2020 lediglich Werke von drei Künstlerinnen zu sehen.
In der Kunst des 20. Jahrhunderts und vor allem vor 1900 liegt die Anzahl der von Künstlerinnen geschaffenen Werke in den Schausammlungen nicht selten unter 1 % - obwohl Ausstellungen wie die letztjährige Schau Kampf um Sichtbarkeit – Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919 an der Alten Nationalgalerie in Berlin belegen, dass die Museen durchaus Werke von Künstlerinnen besitzen – aber verborgen in den Depots.
Der Umgang mit weiblichen Kunstschaffenden damals und vor allem heute lässt sich also erheblich verbessern. Solange im öffentlich geförderten, institutionellen Kunstbetrieb in Gruppen- und Einzelausstellungen zeitgenössische Künstlerinnen weiterhin unterrepräsentiert sind, solange der Ankaufsetat vor allem großer, sichtbarer und international wahrgenommener Häuser im Wesentlichen für Kunst von Männern ausgegeben wird und
Presse und Publikationen Künstler favorisieren, zieht auch der kommerzielle Kunstmarkt nicht nach. Hinzu kommen Förderungen der öffentlichen Hand oder Residenzen, die wesentlich zur Wertschöpfung eines Oeuvres beitragen und oftmals elitebetont an diejenigen vergeben werden, die sich durch Flexibilität und bruchlose Viten auszeichnen können. Künstlerinnen mit Care-Aufgaben bleiben hier oft auf der Strecke.
Wenig hilfreich auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Kunstbetrieb sind überdies die kulturell bedingten, frauenfeindlichen Vorurteile, die seit Jahrhunderten gepflegt werden, ebenso wie die aktuelle coronabedingte Rückkehr zu überholt geglaubten Geschlechterrollen und -aufgaben.
Von einer Gleichberechtigung im Kunstbetrieb kann auch 2021 keine Rede sein. Deshalb fordern wir weiterhin:
• eine Anerkennung der Leistungen von Künstlerinnen aller Jahrhunderte bis heute
• die gendergerechte Gestaltung von Ankaufs- und Ausstellungstätigkeiten
• eine Steigerung der Werkpräsenz weiblicher Autorenschaft in Schausammlungen und Ausstellungen. Im zeitgenössischen Bereich sollten 50%
erreicht werden.
• eine Förderung von Forschungsprojekten und Publikationen zu Künstlerinnen
• die Aufarbeitung und Neuschreibung kunsthistorischer Publikationen und Lehrbücher der Vergangenheit
• eine Einführung von deutlich mehr und gezielten Förderungen und Preisen für Künstlerinnen aller Altersstufen
• die Abschaffung von Altersbeschränkungen bei Ausschreibungen
• Förderprogramme für Künstler*innen mit Erziehungs- und Care-Aufgaben, sowie die Entwicklung von Förderprogrammen zur gezielten
Unterstützung des Wiedereinstiegs nach familienbedingter Auszeit
• aus aktuellem Anlass nicht-elitäre Förderungen z.B. der staatlichen Stiftung Kunstfonds, die auch die soziale und wirtschaftliche Situation
insbesondere von Künstlerinnen in Augenschein nehmen.
Alle fair share! Aktionen am 8.3.2021 werden coronakonform durchgeführt und den aktuell geltenden Hygiene-Bestimmungen angepasst. Sie achten Denkmalschutz und Klima und werden offiziell als Demonstration angemeldet.
Bitte wenden Sie sich bei Fragen jederzeit an die Mitglieder des Aktionsbündnisses:
Kathrin Schrader
INSELGALERIE Berlin
0178-3 42 76 94
presse@inselgalerie-berlin.de
Ines Doleschal
kunst + kind berlin
0151-10 78 06 03
info@ines-doleschal.de
Rachel Kohn
Frauenmuseum Berlin
0163-7 93 04 04
info@frauenmuseumberlin.de
1.Quelle: Horst/Gantner: ARD Mediathek, Warum sind Kunstwerke von Frauen weniger wert, Juni 2020
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